In gegenseitiger Beeinflussung entwickelte sich daraus im fernen Osten neben der reinen Kalligrafie eine freie, abstrakte Form der Schriften, SHO-Kunst genannt. SHO ist die Reduktion von Kalligrafie auf das Wesentliche. Beim Schreiben des SHO-Werkes kommt es auf Spontaneität des kreativen Aktes an und auf freie, lockere Pinselführung.
Dieses Schreiben führt weg von allgemeinen Normen, den festgelegten Formen des kalligrafischen Zeichens, hin zum Unkonventionellen. Hierbei ist für den Kalligrafiekünstler wichtig, über die Ordnung von Symbolen hinauszugehen, um zu etwas zu gelangen, was aus der tiefsten Quelle seines Seins kommt. Dazu ist es nötig, den inneren Dialog anzuhalten, um die "Istheit" wahrzunehmen. Ein nicht in Worte zu fassender Prozess setzt ein. "ES" geschieht. Jetzt kann Kunst spirituellen Wert erlangen. Konkret: Aus einer Bilderschrift wird ein Schriftbild. Oder: Aus Grafik wird Malerei.SHO-Werke werden in Augenblicken der Inspiration mit kaum vorhersehbaren Pinselstrichen ausgeführt. Genauso wichtig ist das, was der Pinsel an Farbe auslässt; denn diese ‚Leere' ist integraler Bestandteil des Werkes. Die ausgeführte Arbeit kann entweder ganz frei, also nicht mehr ‚lesbar' sein, oder annähernd ‚lesbar' gestaltet sein. Das Werk bekommt abstrakte Züge. Seine Aussage ist entweder zu erfühlen oder zu erahnen.
Die traditionellen Pinsel können durch Besen, Vogelfedern oder andere, beispielsweise selbst gefertigte Malgeräte ersetzt werden. Auch der Malgrund kann variieren und von Papier oder Stoff über Holz und Stein bis in den Sand führen.
Die fernöstliche Schriftkunst hat das Potential für den Ausübenden sowie den Betrachter zu einer größeren Harmonie zwischen den spirituellen Wesen, die wir sind, und der materiellen Welt, in der wir leben, zu führen. Die fernöstlichen Kalligraphen haben dies schon seit langem verstanden. Sie haben deshalb versucht dieses Bewusstsein durch die Künste zu fördern und anderen zu vermitteln. Die Schriftkunst insgesamt gilt als vollkommene Widerspiegelung des Bewusstseinszustandes des Künstlers im Augenblick des Schreibens.
Mir geht es um das Verstehen und Tolerieren fremder Kunst, den Abbau von Berührungsängsten und das Herstellen von Dialogen zwischen den Kulturen. Wenn Kunst uns mit dem Jetzt berührt, geschieht dies gleichzeitig mit der Ewigkeit – und damit mit der Unausweichlichkeit des Todes. Dies macht unsere innere Wahrnehmung und Würdigung des Lebens prägnanter, lebens- und liebenswerter.
Heute nach drei Jahrzehnten der Ausübung dieser fernöstlichen Schriftkunst ist mir klar geworden, dass dies meine ART von Integration ist.
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